Dienstag, 15. November 2022

WARHAUS / Ha Ha Heartbreak

WARHAUS: Ha Ha Heartbreak (2022), PIAS
 
Lässiger Melodiencocktail über den immerwährenden Ha Ha Heartbreak, glücklicherweise angenehm unaufdringlich in Szene gesetzt. Ist Maarten Devoldere als Sänger der belgischen Indieformation Balthazar bereits von perkussiv umherwirbelnden Grooves umgeben, frönt sein Sideprojekt Warhaus nun hauptsächlich dem Soul. Und der geht beim gebürtigen Belgier in Herz und Beine. "How i used to touch and touch your beauty, and now you're a song from an open window to me" heißt es im Opener und schon nach wenigen streichergetragenen Augenblicken ist man in Bewegung.  40 Minuten lang scharwenzelt sich Devoldere zwischen Northern Soul-Anleihen und schummrigem Barfeeling, ehe er zur Erkenntnis gelangt; "shake the past out of the sheets and let your tears run right". Selten wurde so schön und elegant gelitten wie auf diesem Album. 
Rauschen Review 204

Freitag, 11. November 2022

PHILLIP BOA & THE VOODOOCLUB / Hamburg, Markthalle

Phillip Boa & The Voodooclub, 04.11.2022, Hamburg Markthalle

Zwei Abende in Folge spielt Phillip Boa, das Enfant terrible der einst so bedeutungsvollen deutschen Indieszene, in einem der Headquarter des Voodooclubs, in der Hamburger Markthalle. Damit trotzt er gewohnt stoisch auch der traurigen Absagenflut etlicher Bands aufgrund rückläufiger Vorverkaufszahlen. Auf seine treue Fanbase aber kann sich der gebürtige Dortmunder schon länger wieder verlassen, selbst ohne ein neues Album. Sämtliche Konzerte der aktuellen schlicht betitelten Best of Shows sind gut besucht, genau jenes Programm also, das Boa seiner euphorischen Anhängerschaft auch liefert; vom frühen noch ungestüm rumpelnden Diana über die unvermeidlichen Szenehits Fine Art In Silver oder This Is Michael bis hin zu den atmosphärischeren Tracks der zuletzt veröffentlichten Platte Earthly Powers. Viele der aktuelleren Songs haben sich dabei längst in den Kreis der Setlist gespielt. Und doch ist es ein Album aus der Vergangenheit, das auf dieser Tour wieder verstärkt in den Vordergrund rückt, das 1991 veröffentlichte Helios. Über die Jahre hat sich diese Platte konstant als Opus Magnum des nicht gerade bedeutungsarmen Voodooclubs-Kataloges bewährt. Das zerberstende Sirens From Hell darf sogar als neuer Schlussakkord ran, noch nach dem lange gesetzten Finale Kill Your Ideals. In voller Länge gibt es Helios noch zum Abschluss der Tour zu hören, dann im Rahmen des Lieblingsplatte-Festivals in Düsseldorf.

Setlist: Fine Art In Silver - Loyalty - Albert Is A Headbanger - Rome In The Rain - Standing Blinded On The Rooftops - Puppets On A Strang - Life After Being A Zombie - The Wrong Generation - Get Terminated - Drown My Heart In Moonshine - Atlantic Claire - Pretty Bay - The Undersea World Of Jacques Cousteau And His Friends - Cruising - Til The Day We Are Both Forgotten - Pfirsicheisen - A Crown For The Wonderboy - Annie Flies The Love Bomber - Diana - This Is Michael - And Then She Kissed Her - Container Love - Kill Your Ideals - Sirens From Hell 
Rauschen Review 203
 

Freitag, 4. November 2022

THE LIBERTINES / Hamburg, Edel Optics Arena

The Libertines, 28.10.2022, Hamburg Edel Optics Arena

Hamburg habe Pete Doherty vielleicht das Leben gerettet, so formulierte es der skandalumwitterte Sänger einst selbst. Nach den großen Drogenabstürzen konnte er in der Hansestadt dem Chaos zumindest für eine Weile entfliehen, nahm hier in den Cloud Hill Studios das Album Hamburg Demonstrations auf. Ein paar Jahre ist das mittlerweile her aber tatsächlich scheint Doherty mit sich länger schon im Reinen. Gemeinsam mit seinem kongenianen Partner Carl Barat ist er seit geraumer Zeit auch wieder auf Tour, ganz verlässlich und in beeindruckender Form, so wie aktuell zum 20. Geburtstag des wegweisenden Albumsdebüts ihrer Band The Libertines. Zwar spielen Doherty und Konsorten noch immer ein wenig neben der Spur, das aber mittlerweile so gekonnt, das ihr fast zweistündiger Auftritt rund um das komplett gespielte Album Up The Bracket zu einem der unerwarteten Konzerthöhepunkte des Jahres gerät; melodisch und mitreißend und very british.

Setlist: Vertigo - Death On The Stairs - Horrorshow - Time For Heroes - Boys In The Band - Radio America - Up The Bracket - Tell The King - The Boy Looked At Johnny - Begging - The Good Old Days - I Get Along - Mayday - Gunga Din - You´Re My Waterloo - What Katie Did - The Delaney - Music When The Lights Go Out - What Became Of The Likely Lads - Can´t Stand Me Now - Don´t Look Back Into The Sun - What A Waster  
Rauschen Review 202

Freitag, 28. Oktober 2022

SIMPLE MINDS / Direction Of The Heart

SIMPLE MINDS: Direction Of The Heart (2022), BMG
 
Meint man es wohlwollend mit den Neuveröffentlichungen der alten Wave-Heroen Kerr/Burchill, dann spricht man stets davon, dass sie wieder so wie ganz früher klingen würden aber natürlich stimmt das nur bedingt. Und das ist auch gut so. Was hingegen stimmt, dass die Simple Minds seit Jahren konsequent auf hohem Niveau liefern und zumindest den Geist ihrer ersten wegweisenden  Alben auch im Hier und Jetzt jederzeit einfangen können. Zwar ist der einst noch unerschrocken-getriebene Klang der frühen achtziger Jahre längst einem moderaten Breitwandpop gewichen, aber die beiden ewigen Jugendfreunde spielen jede neue Platte noch immer mit unermüdlicher Hingabe ein, dass es eine Freude ist, ihren zurückgewonnenen Bandoptimismus zu teilen. Nach Jahren der Orientierungslosigkeit werden die Hallen in denen sie spielen längst wieder größer und auch die Veröffentlichungen seit der Kehrtwende mit Black And White werden anständig besprochen. Dieser Trend wird sich mit Direction Of The Heart, Album Nummer 18 in der Bandhistorie, nahtlos fortsetzen lassen. Dabei wollte man nichts weiter als eine Art Feelgood-Album aufnehmen, so Sänger Jim Kerr, gerade in diesen unruhigen Zeiten. Dass ihnen dabei in gerade einmal 9 Songs ein solch stilvoller Eskapismus gelungen ist, kann man ihnen nicht hoch genug anrechnen.  
Rauschen Review 201

Freitag, 21. Oktober 2022

PHILLIP BOA / Lord Garbage (1998)

PHILLIP BOA: Lord Garabge (1998), Motor
 
Schon beim ersten Blick auf das Cover fällt auf, das etwas fehlt. Phillip Boa ohne den angestammten Voodooclub, daran musste man sich auch ersteinmal gewöhnen. Entsprechend skeptisch scheint Boa selbst dreinzublicken, vom Zeitgeist in den späten neunziger Jahren zunehmend aus dem Rennen gedrängt. Ein Schicksal, das der deutsche Indiepapst noch mit anderen Szeneheroen der späten achtziger Jahre wie The Mission oder New Model Army zu teilen hatte. An der Qualität der Songs selbst hingegen kann es kaum gelegen haben, dass Lord Garbage, Boas 1998 veröffentlichtes erstes und bis heute auch einziges Soloalbum, kaum Beachtung fand. Gewohnt melodiös grantelt sich der Wahlmalteser durch einen wuchtig-kantigen Songreigen und diese Stimmung hält er, auch ohne Voodooclub, bis zum Schluss dieses für ihn so schwierigen Albums. Mit Love Spread Around Me, Love Me Like An Alien und Like Gods And Heroes In Spring enthält es sogar einige seiner bis heute schönsten Songs. Nur aufgefallen ist es damals den wenigsten. Dabei klingt die nachfolgende Platte My Private War, wieder mit dem Voodooclub, sehr viel mehr nach Solotrip. Es dauerte noch eine Weile, bis Phillip Boa mit entsprechendem Standing in das Selbstverständnis vieler Hörer zurückkehrte, ebensolange wie auch The Mission oder New Model Army für ihre Rückkehr benötigten. Gut, dass sie einfach immer weitergemacht haben. 
Rauschen Review 200

Freitag, 14. Oktober 2022

DILLON / 6abotage

    DILLON: 6abotage (2022), BPitch
 
Album Nummer Vier der Berliner Elektro Chanteuse. Wo sich die zeitgleich gestartete Anja Plaschg (alias Soap&Skin) immer ätherischer und orchestraler gibt, bleiben die Songs der gebürtigen Brasilaniern Dillon stets greifbar, mindestens aber genauso berauschend. Noch immer wirken die sorgsam eingesetzten Komponenten in diesem Soundkosmos fein dosiert, die knisternden elektronischen Momente in Separate Us oder Cry Bebe zum Beispiel, die unter Mithilfe des Produzenten Alexis Troy gelinde moderner, auch leichtfüßiger klingen. Mit gewohnt trotzig-zerbrechlichem Timbre intoniert Dillon dagegen weiterhin ihre Lyrics; "they´ll separate us, try anything just to make us go". Hinter ihrem Klavier muss sie sich dagegen nicht mehr verstecken, sondern wirkt mutiger, auch raumgreifender. In den neuen Songs taucht es nicht einmal mehr auf. 
Rauschen Review 199

Freitag, 7. Oktober 2022

THE TEARS / Here Come The Tears (2005)

THE TEARS: Here Come The Tears (2005), Craft
 
Drei Jahre schon gab es Suede nicht mehr zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung. Ganze zehn Jahre gar hatten die beiden einstigen Widersacher Brett Anderson und Bernard Butler keinen Song mehr gemeinsam geschrieben, nachdem sie zur Geburtsstunde des Britpop zwei der wichtigsten Platten (Suede und Dog Man Star) noch im Schulterschluss schufen. Auf dem völlig unerwartet entstandenen Album Here Come The Tears aber sind alle Merkmale dieses kongenialen Duos noch einmal gebündelt. Gewohnt entwaffnend bringt Anderson gleich zu Beginn die Spitze "like bonnie and clyde we´re free", während Butlers forsche Gitarrenspitzen unmittelbar ins Fleisch schneiden. 13 Songs lang euphorisieren sich Anderson/Butler gegenseitig, im herrlich schwelgenden Imperfection, in Lovers oder dem hymnenhaften Abgesang von Apollo 13. Nach wenigen Monaten dann war die musikalische Einheit schon wieder vorbei. Brett Anderson startete endlich eine Solokarriere, während Butler der walisischen Sängerin Duffy zu einer kurzzeitigen Weltkarriere verhalf. Der Nachhall der gemeinsamen Arbeit als The Tears aber blieb noch eine ganze Weile erhalten.  
Rauschen Review 198