DURAN DURAN: eine andere Geschichte___
| DURAN DURAN: and the sun drips down |
Immer wieder tauchen sie auf, diese 5 Engländer in ihrem Roxy Music-Schick; Keyboarder Nick Rhodes als bleich geschminkte David Sylvian-Epigone, die 3 Taylors, von denen vor allem Bassist John als Posterboy heraussticht und nicht zuletzt Simon Le Bon, der Sänger, mit dieser zur Schau gestellten Noblesse. Duran Duran sind in der ersten Hälfte der achtziger Jahre bis zum Anschlag auf Sendungsbewusstsein. Mal segeln sie auf einer Yacht im Video zu „Rio“ über die Bildschirme oder tänzeln in üppiger Aufmachung durch die Kulissen einer TV-Sendung. Die Melodie ihres ersten Welthits „The Reflex“ versenken sie zwar in einer Remix-Variante, aber die Frisuren und das Make-Up sind so perfekt, als müsse sich alles in nur einer Nacht ausnahmslos verschwenden. Wenn jemand die glamouröse Seite der Eighties verstanden hat, dann ganz sicher Duran Duran. An mir aber rauschen sie mit dieser gelebten Vehemenz erst einmal vorbei. Meine Favoriten richten sich nicht weniger opulent aber mit schmissigeren Melodien vor mir auf; Ultravox und Visage, Soft Cell, später dann Talk Talk, denen ich vom ersten Takt folge. Auch die Radiohits, ABC´s „The Look Of Love” oder “Let Me Go” von Heaven 17 stechen den jeweils aktuellen Song der Duranies aus. Dabei werde ich 1983 erstmals hellhörig, als ich „New Moon On Monday“ irgendwo aufschnappe, sinnigerweise eine eher simple Nummer dieser so überkandidelten Band. Das hätte einer der Favoriten des Jahres werden können, wäre das Video dazu nicht wieder so albern geraten. In einer fiktiven Handlung kämpfen die Bandmitglieder als La Luna im Untergrund gegen schier übermächtige Herrscher. Geht´s noch? Gitarrist Andy Taylor sagt später, dass er noch immer den Raum verlassen würde, wenn das Video irgendwo läuft. In meiner Wahrnehmung bleiben Duran Duran Big Business, ein Monster an Song wie „Wild Boys“ scheint doch schon lange nicht mehr von dieser Welt, die sie in ersten Single „Planet Earth“ noch so unprätentiös besingen; „look now, look all around, there´s no sign of life….this is planet earth“.
Nach dem leidlich souveränen Live Aid-Auftritt begeben sich Duran Duran 1985 in eine selbstverordnete Pause und entzweien sich vorübergehend. Während John und Andy Taylor als The Power Station mit Sänger Robert Palmer ihren Hang für generösen Rock ausleben, rudern die restlichen Mitglieder zurück zu ihren wavigen Anfängen. Das kunstvolle Projekt Arcadia lässt Kritiker aufhorchen, doch viele Fans eher ratlos zurück. Vom Pop-Olymp stoßen sich Duran Duran in dieser Zeit ganz alleine. Deutschland wird ohnehin nie zur großen Spielwiese der Band aus Birmingham. Während sie in den USA länger schon die großen Arenen bespielen und in ihrer Heimat als Lieblingsband von Lady Di gelten, schwört man hierzulande eher auf den Industrial-Pop von Depeche Mode oder auf A-ha, die in ihrer Unbedarftheit in den Medien als liebreizende Alternative zu den Durans dargestellt werden. Während die Norweger die Cover der einschlägigen Popmagazine wie Bravo oder Popcorn zieren, bleibt für die musikalische Neuorientierung einer in die Krise geraten Supergroup kein Platz mehr. Stattdessen müssen sich Le Bon und Co. in einem Artikel unliebsamen Fragen aufgebrachter Fans zur Zukunft der Band stellen lassen. Ausgerechnet in dieser Phase, in der sie zunehmend an Größe verlieren, schieben sie sich in mein Bewusstsein, gleichzeitig auch in das meines besten Schulfreundes. Offensichtlich hat die offengelegte Schwäche sie für uns ein wenig sympathischer gemacht.
Mit den Songs des Arcadia-Albums „So Red The Rose“ ist es um uns beide geschehen. Gemeinsam werden wir zu Anhängern einer Band, die zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr richtig existiert. In Warteschleife auf ein Lebenszeichen aber, versorgen wir uns erstmal mit ihrem Plattenbestand und durchleben in nur einem Sommer, dem von 1986, die Jahre rückwärts bis zum Debüt im Schnelldurchlauf. Wie konnten wir uns all das die Jahre nur entgehen lassen, fragen wir uns oft, das Cover eines ihrer Alben in der Hand. Denn auf einmal sind wir von dem Charme erfasst, den wir vorher nie so sehen wollten, im Gegensatz zu Millionen vornehmlich weiblicher Fans. Binnen weniger Wochen haben wir das ganze Programm drauf, kennen alle Songs samt den B-Seiten. Je nach Laune und Tagesform steigen wir entweder auf den noch ganz unbeschwert dahinstolpernden Sound des schlicht „Duran Duran“ betitelten ersten Albums ein, das noch fest im New Wave-Genre verwurzelt ist. Oder aber wir versinken selbstlos in der Tiefe der Südsee, mit allen champagnergesprenkelten Wassern des Glamour-Pops gesegnet. Dann legen wir das Album „Rio“ auf, das in Klang, Design und Standing stilprägend wird für die frühen achtziger Jahre. In ihrer Unterschiedlichkeit legen diese beiden Platten auch den Quantensprung der 5 Musiker offen, die wachsen wollen, binnen kurzer Zeit und dazu verschlingenden Appetit auf Erfolg haben. Sie selbst sind, mehr als alle anderen Popbands dieser Zeit, „Hungry Like The Wolf“, wie einer ihrer ersten großen Hits heißt.
Mithilfe einer teuer erstandenen VHS-Compilation stellen wir ihre bis dato bekanntesten Videos bei mir zuhause nach, so gut es eben geht, so ganz ohne verfügbare Yacht und palmengesäumte Strände in der näheren Umgebung. Dafür sitzen die Bewegungen der einzelnen Mitglieder an ihren Instrumenten und die Idee einer eigenen Band ist schnell geboren. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Auf ein in England bestelltes Buch über die ersten vier Jahre der Fab Five, wie sie in Anlehnung an den frühen Erfolg der Beatles, den Fab Four, auch genannt werden, warten wir hingegen eine gefühlte Ewigkeit. Als das Buch dann zur Abholung in einer Postfiliale bereitliegt, stürmen wir diese in selbst zusammengestellter New Romantic-Aufmachung, von der das ein oder andere Stück dem Kleiderschrank meiner Mutter entstammt. Mit besorgniserregender Miene betrachtet uns der Angestellte am Schalter und händigt das für uns so kostbare Buch aus und schaut nicht weniger skeptisch, als ich den fälligen Betrag mit einem stattlichen Haufen Kleingeld bezahle, den ich aus einem Briefumschlag fingere. Mit unserem Glam-Faktor sollen wir uns schwer tun, unsere Begeisterung hingegen kennt keine Grenzen. Noch im Foyer reißen wir die Verpackung des Buches auf und blättern uns auf dem Weg zur Straßenbahn durch die ersten Seiten. Schwerelos rauscht die Stadt an uns vorbei, versinkt in einem Lichtermeer und ich denke, dass es genauso auf Tournee sein muss. Eine eigene Band haben wir ja schon. Später sagt Nick Rhodes mal in einem Interview, dass er auf Konzerten anderer Bands im legendären Rum Runners Club in Birmingham, die Lichttraversen samt Spots gezählt habe, nur um schon einmal zu wissen, was man für eine eigene Show benötigt. Auch wir sind lange bereit, zumindest erst einmal auf neue Songs. Jetzt müssen nur noch Duran Duran liefern.
Im Oktober 1986 erscheint die Single „Notorious“. Für meinen Kumpel und mich wird dieser Release zur Bewährungsprobe, denn es ist die erste Neuveröffentlichung der mittlerweile zum Trio geschrumpften Band für uns als taufrische Die Hard-Fans. Direkt nach Schulschluss ziehen wir los und kaufen die Single in einem meiner bereits angestammten Plattenläden. Gelangweilt fischt der Verkäufer in einer sich dahinschleichenden Trägheit die Single aus dem Regal. Uns dauert das alles viel zu lange, unbemerkt trommle ich mit den Fingern schon auf dem Tresen. Im Eiltempo spurten wir anschließend zu mir nach Hause, ziehen die Single aus dem tiefschwarz gefärbtem Cover, legen sie auf den Plattenteller und sind erstmal überrascht, vielleicht sogar ein wenig enttäuscht. Wir haben noch nicht einmal unsere Jacken ausgezogen und wissen nicht so recht, was wir mit diesem funky Popsong anfangen sollen. Die Erwartungen haben wir im Sommer mit der Warterei ins Unermessliche getrieben und nun klingt der Song nicht einmal ansatzweise nach dem, was wir von der Band zu kennen glauben, nach der für uns so wichtigen Arcadia-Platte schon mal gar nicht. Wäre die traurige aber unfassbar schöne Ballade „Winter Marches On“ nicht die bessere Single gewesen, anstatt sie als B-Seite zu verdammen, überlegen wir? Es dauert ein paar Tage, bis der Song zündet und der Refrain aufgeht. Vielleicht hämmern wir ihn uns auch nur so lange in den Kopf, bis er endlich passt aber wir sind voller Hoffnung, dass mit dem angekündigten Album noch mehr kommen möge. Seit Monaten plagen wir uns nun als Fans in Lauerstellung ab, es muss also mehr kommen und ich schneide gespannt ein Radiointerview auf NDR2 mit, in dem etliche der neuen Stücke vorab gespielt werden. Immer und immer wieder spule ich zu diesen Songs zurück, zu „American Science“ oder „Vertigo“, solange bis das Band zu leiern beginnt und ich beruhigt bin weil ich nun weiß, dass es ein Mehr gibt. Das Album „Notorious“ wird der Soundtrack der kommenden Monate, versorgt uns mit Songs, die sehr viel dezidierter klingen als die erste Single, die in Deutschland einfach kein Hit werden will. Auch das Album hat es schwer in den deutschen Charts aber stetig werden wir zu blinden Vertrauten, zu Verbündeten einer höheren Pop-Macht, die so nur in unseren Köpfen stattfindet und die wir mit allen uns zur Verfügungen stehenden Argumenten verteidigen. Das ist auch bitter nötig, denn nach außen verlieren Duran Duran auch mit der neuen Platte immer mehr an Gewicht. Aber wir stechen alle unliebsamen Konkurrenten mit Missachtung aus. Den Videos von A-ha, die zu dieser Zeit in Heavy Rotation auf den Kanälen laufen, verweigere ich mich so gut es eben geht und schalte das Radio aus, sobald Morten Harkets Falsett ertönt. Als die früheren Dauerkonkurrenten Spandau Ballet abfällig über die neuen Duran-Songs unken, zerkratze ich mit einem Kugelschreiber deren Single „Through The Barricades“, die ich mir Tage zuvor noch gekauft hatte, weil ich den Song so toll fand. Nun steht er auf der schwarzen Liste. Der tief eingekerbte Kratzer macht die Single ohnehin unhörbar.
Es ist eine wie euphorisiert-aufgeladene Zeit, die wir mit unserem ersten Konzertbesuch krönen wollen. Im April 1987 spielen Duran Duran in der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg, doch die Vorzeichen stehen schlecht. Der Vorverkauf der Tournee läuft so schleppend, dass ein weiteres Konzert in Hannover abgesagt wird. Mehrmals blicke ich besorgt in das Schaufenster einer Konzertagentur und bin erst beruhigt, wenn ich das Plakat des Hamburger Konzertes noch an der Wand hängen sehe. Denn seit Wochen stecken auch wir in den Vorbereitungen. Mehrfach haben wir das Live-Video „Arena“ ihrer großen US-Tour von 1984 studiert, jeden Schritt, den Sänger Simon Le Bon an den Bühnenrand macht, jede Pose und Geste. Im Schulunterricht wiegt mein Freund manchmal die Schultern wie Keyboarder Nick Rhodes im Takt, solange bis man ihm fragende Blicke zuwirft, so wie seinerzeit der Schalterangestellte in der Postfiliale. Eines Morgens kommt er in einem Jackett zur Schule, dass an das erinnert, welches Rhodes neulich bei einem TV-Auftritt in Italien trug. Lange haben wir dazu die Fotostrecke in einer Zeitschrift betrachtet und es ist unschwer zu erkennen, dass er diesmal den Kleiderschrank seiner Mutter geplündert hat. Längst sind wir als die Duran-Bekloppten verschrien, aber wir haben unseren Spaß daran. Laufe ich die Treppe zu unserem Klassenflur hoch, dann stelle ich mir manchmal vor, ich würde Backstage den Aufgang einer Bühne benutzen, ehe mich der Geruch von Bohnerwachs und Schweiß wieder in die Realität befördert. Wie es wohl auf einer so großen Bühnen riechen mag, im Angesicht zigtausender Zuschauer, frage ich mich, und schlage mein Mathe-Heft auf? Ganz sicher aber auch nur nach Schweiß, versuche ich mich dann wieder einzukriegen.
Wenige Tage vor dem Konzert hat die Bravo einen doppelseitigen Artikel vom Tourauftakt in Tokio am Start. Mehrmals hintereinander treten Duran Duran dort vor ausverkauftem Haus auf, so wie in früheren Zeiten, die wir als Fans gar nicht miterlebt haben. Seit wir Anhänger sind, befindet sich die Band kommerziell auf dem absteigenden Ast. Wie gut, dass wir noch da sind, denke ich dann oft und höre wieder in „Notorious“ rein, so laut, dass alle Welt hören kann, dass es auch hier in diesen Breitengraden fanatische Fans gibt. Die Nachbarn werden es ganz sicher honorieren oder warum trommeln sie passend zum Takt der Songs begeistert an die Wand? Am Tag des Konzerts, einem Freitag, dürfen wir früher aus der Schule. Der Weg nach Hamburg ist nicht weit aber selbstverständlich stehen wir schon gegen Mittag vor der Halle, so wie wir es in einer Tourdokumentation über eine ihrer früheren Reisen gesehen haben. Doch im Gegensatz zu tausenden kreischender Fans vor dem New Yorker Madison Square Garden, verlieren sich in Hamburg nur ein paar wenige Fans, vor diesem so charmant dahingerotzten Betonkasten, der im Laufe der Jahre mein musikalisches Wohnzimmer werden soll. Auch die kommenden Stunden wird es nur leidlich voller. Als dann aber gegen 18 Uhr die Türen öffnen, stürmt dieser verlorene Haufen, mit uns mittendrin, das weite Rund. Für die anwesenden Ordner muss dies ein mehr als belustigender Anblick sein. Dicht gedrängt stehen einige wenige hundert Fans vor der Bühne und atmen schwer, während sich hinter ihnen die Halle völlig leer abzeichnet. Trotzdem verliere ich im Gedränge, das diesen Ausdruck kaum verdient, meinen Freund aus den Augen. Ein Crewmitglied bittet uns, doch einfach ein paar Schritte zurückzutreten, dort sei ja genug Platz, während sich immerhin die Ränge nach und nach füllen. Und irgendwann geht dann das Licht aus und die Halle verliert sich in völliger Dunkelheit. Wenn man diesen Moment zum ersten Mal erlebt und gebannt nur noch auf die blinkenden Spots der Bühne blickt, während das Intro, ein melodisch-pochender Herzschlag, langsam durch Mark und Bein fährt, ist man von der Magie direkt erfasst. Was für ein begnadeter Augenblick. Für mich bleibt dies mit jedem weiteren Konzert immer wieder ein Höhepunkt und lieber bleibe ich einem Konzert ganz fern, als dass ich den Anfang einer Show verpasse. Die folgenden 90 Minuten rauschen wie 90 Sekunden an mir vorbei und irgendwie ist das ungerecht, denke ich, als ich apathisch aus der Halle taumle. Was ich da noch nicht weiß ist, dass diese Momente nie weg sind, sondern immer wiederkommen, wenn auch nur blitzartig, dafür aber ein Leben lang. Das ist der gerechte Ausgleich.
Einer der anderen wie benommen vor sich hin taumelnden Zombies, die langsam auf den Vorplatz der Sporthalle treten, ist mein Schulfreund. Wir können nicht in Worte fassen, was wir da gerade erlebt haben und ich habe Angst, aus einem Traum gerissen zu werden. An Fantasie hat es uns ja nie gemangelt. Auch die Rückfahrt aus Hamburg nehmen wir nur beiläufig wahr, sind restlos erschöpft und eine tiefe Schwere überfällt mich. Was haben wir gegeben für diese Band und was soll jetzt noch kommen? Kann man das überhaupt steigern? In den kommenden Tagen reden wir nur wenig über das Konzert, es dauert, bis wir uns all das Erlebte anvertrauen können. Da plagt uns schon der bevorstehende Sommer, in dem wir unterschiedliche Schulen besuchen werden. Unsere Reise, deren Soundtrack ausschließlich von Duran Duran bestimmt ist, ist bislang auch eine gemeinsame und diese wird nun einen anderen Weg nehmen, das wissen wir beide. Auch drängen sich immer häufiger andere Bands auf, Depeche Mode zum Beispiel, deren Single „Strangelove“ schlicht grandios ist. Und hat mir nicht neulich noch jemand erzählt, wie toll das letzte Album von A-ha sei, „Scoundrel Days“? Das hätte ich ja sicherlich lange schon gehört. Aber das habe ich natürlich nicht, was ich jedoch niemanden verrate, da ich ja sofort das Radio abschalte, ertönt ein Song von ihnen. Alles im Dienste meiner Band. Und als ich The Cure durch eine Fernsehsendung hampeln sehe denke ich noch, wie bekloppt die eigentlich sind und bekomme den Song die ganze Nacht dennoch nicht aus dem Ohr; "i try to laugh about it, hiding the tears in my eyes,´cause boys don´t cry".
Ein Duran Duran-Highlight auf diesem intensiven Niveau der letzten Monate aber wird es noch geben, ein „Big Thing“ sozusagen, so auch der Titel ihrer Platte. Im Herbst 1988 trifft diese mich nochmals mit voller Wucht, genauso wie zwei Jahre zuvor schon „Notorious“. Mit seiner tiefgründigen, auch dunkleren Atmosphäre trifft es weitaus eher auch den Geschmack weiterer längst überfälliger Entdeckungen wie New Order, Siouxsie And The Banshees aber auch David Sylvian oder Paul Weller in seinen unterschiedlichsten Phasen. Ich bin 17 Jahre alt, da benötige ich keine teenagerhaften Schmeicheleien mehr. Musik soll mich aufwühlen, reizen und mitnehmen, wohin auch immer. Ich bin auch kein blinder Vertrauter mehr wie noch vor Monaten. Nur die Begeisterung ist noch immer dieselbe, auch für Duran Duran. Das ein oder andere Poster von ihnen hänge ich noch an die Wand, aber sie sind längst nicht mehr großformatig und bunt. Diesmal schauen sie ernsthafter drein, passend zu einer Textpassage, die ich aus ihrem aktuellen Tourbook ausschneide; „god created the world, then created the devil to blame for his mistakes”. Die Musiker gehen auf die 30 zu, im bewegenden „Do You Believe In Shame?“ singt Simon Le Bon vom Drogentod eines Freundes und der Song „The Edge Of America“ handelt von der Migrationspolitik in den USA, in dem es heißt; „but now there´s nothing left to hide, i´m just a number on the metal fence, ,which marks the great divide“. Unterdessen ist das Standing der Band weiter gesunken. Duran Duran sind längst keine Superstars mehr. Aber wieder wird ihre Platte für mich Soundtrack der Zeit und begleitet mich, auf dem Weg zur Schule, zu Freunden und sogar zum lange fälligen Nachhilfeunterricht, ein paar Viertel weiter. Meine Note im ausnahmslos verhassten Fach Mathematik stürzt in bedrohliche Tiefen, die zusätzlichen Stunden ändern daran jedoch wenig. Das liegt auch an der gut sortierten Plattensammlung meines Nachhilfelehrers, in die ich mich anfangs noch nach, kurze Zeit später jedoch schon während des Unterrichts stürze. Auch „Big Thing“ hallt irgendwann durch seine Wohnung und ändert doch nichts daran, dass ich die nächste Klassenarbeit abermals in den Sand setze. Ob denn die Nachhilfestunden gar nichts gebracht hätten, fragt meine Mutter entsetzt aber ich müsste lügen, um das zu verneinen.
Wieder steht ein Konzert am Ende einer so gewichtigen Phase mit Duran Duran-Songs. Im November 1988 spielen sie im CCH in Hamburg, der nächsten schauerlichen Betonburg. War ich ein Jahr zuvor ein noch in allen Belangen blutiger Anfänger, fühle ich mich nun, mehrere Konzerte später und gemäßigt gealtert, inmitten der ausnahmslos weiblichen Anhängerschaft, relativ wohl. Auch diesmal gibt es kaum Gedränge, alles fällt nüchterner aus und passt doch so gut zur eigenen Befindlichkeit. Als das Licht ausgeht meine ich ein bisschen Gekreische zu vernehmen oder ist es nur ein Hustenanfall? Die Magie in diesem Augenblick aber bleibt erhalten, so oder so. Und auch Duran Duran sind wieder in Form, spielen ein tolles Konzert, sehr einnehmend und wunderbar eindringlich. Was ich aus diesen abermals dahinrauschenden 90 Minuten mitnehme ist nicht nur die Telefonnummer eines Mädchens, das die meiste Zeit während des Konzerts in meiner Nähe steht, sondern ein Stück mehr Greifbares, weil ich nicht nur auf die unregelmäßig auftretenden Erinnerungsblitze warten möchte, so wie noch nach dem ersten Mal. Auch die Rückfahrt aus Hamburg nehme ich diesmal wahr, die Lichter der Großstadt und die vorbeifliegende Landschaft, in die ich die Songs des Konzertes transportiere.
Die Begeisterung, die ich in den achtziger Jahren für Duran Duran empfinde, will sich mit dem nächsten Album „Liberty“ dann nicht mehr einstellen. Wieder sind zwei Jahre vergangen aber die neuen Songs berühren mich weniger als ich mir erhoffe, auch wenn ein paar von ihnen sehr atmosphärisch sind; das unterkühlte aber hübsche „My Antarctica“ zum Beispiel oder „Venice Drowning“. Aber als ganzes Album fesselt es mich nicht mehr, so wenig wie die Band selbst, die auch keine Tournee spielt, die eine gemeinsam erlebte Phase krönen könnte. Zu sehr hat sich mein Geschmack verändert und entwickelt und so wie die Band weiter aus den Charts und Medien verschwindet, verliere ich sie auch aus meinem Bewusstsein. Zu krönen gäbe es nur noch eine gemeinsame Vergangenheit und dahin befördere ich Duran Duran im Sommer 1990. Fortan sind sie die Band meiner Jugend und diese neigt sich unaufhörlich dem Ende entgegen. Zwar gelingt ihnen drei Jahre später auch hierzulande ein überraschendes Comeback mit den Hits „Ordinary World“ und „Come Undone“ aber stillschweigend sind die Konkurrenten von einst meine Favoriten geworden. Fast zeitgleich veröffentlichen Depeche Mode ihre epochalen „Songs Of Faith And Devotion“ und selbst die früher so harmlosen Popgesellen A-ha haben mit „Memorial Beach“ eine ganz neue Ernsthaftigkeit entdeckt. Die letzte Chance auf ein gemeinsames Abenteuer lasse ich kurze Zeit später vergehen, als ich statt zu ihrem Konzert ganz in der Nähe lieber in den Urlaub in die Ferne fahre. Das ist es dann wohl. Früher hätte ich mich ganz sicher anders entschieden.
Ab und an erfasst mich die Jahre mal ein Song von ihnen, „Out Of My Mind“ in den späten 90ern beispielsweise aber erst im Laufe der folgenden Jahre gehe ich wieder auf Tuchfühlung, ganz langsam und bedächtig. Und wieder ist es das Arcadia-Album „So Red The Rose“, das mir die Türen öffnet, das mich nach einer ungehörten Ewigkeit unversehens trifft und einen wahren Film an Erinnerungen lostritt. Ich muss grinsen über so viel gelebte Intensität. Jeder Song ist mir noch bekannt und ich ziehe weiteren Platten aus dem Schrank, es sind ja alle vorrätig, von der ersten Single „Planet Earth“ bis zu dem Moment, an dem ich das Interesse verlor. Doch davon kann keine Rede mehr sein. Ich spüre, dass mich auch die neuen Songs wieder erfassen, „Falling Down“ 2007, „Leave A Light On“ 2011 oder „Paper Gods“ weitere vier Jahre später. Natürlich ist auch Nostalgie dabei, aber so wie Duran Duran mit ihrem neuen Album „Future Past“, Vergangenheit und Gegenwart in Sound und Geste zum 40jährigen Bestehen der Band abfeiern, begehe auch ich die eigene Geschichte, die im Song „Anniversary“ so frenetisch formuliert scheint; „come celebrate this union, come holy and unchained, how do you know, stay or go, keep riding on the train”. Zum Albumrelease bleibe ich bei einem TV-Interview des amerikanischen Rolling Stone mit allen Bandmitgliedern hängen, als sich meine Tochter zu mir setzt und mich fragt, was ich da schauen würde. Ich sage ihr, dass ich diese Band ständig gehört habe, als ich ungefähr so alt wie sie jetzt, vor Jahrhunderten also. Und mir jagt es einen wohligen Schauer über den Rücken, als sie, vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben, den Bandnamen ausspricht, ganz zeremoniell, so als würde sie die Band nur für mich ankündigen: „Ladies and Gentlemen, please welcome, all the long way from Birmingham – DURAN DURAN!!!
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