Mittwoch, 1. Dezember 2021

is there life on mars?

 
changes are taking the pace

Ein Straßenviertel im Süden Londons. Häuserschluchten aber kein Glamour entlang des Weges zum Airport Southend. Aus einem Bus, einem alten Überlandmodell, der sich schwerlich durch die Landschaft müht, steigen Passanten. Sie strömen in die umliegenden Häuser, vorbei am obligatorischen Pub an der Ecke, neben dem die Geschäfte mit heruntergelassenen Gittern schon verriegelt sind. Es ist Abend und der Himmel wirft ein nur trübes Licht auf die scheinbar ewig nassen Straßen in dieser Gegend. Endlos scheinen sie sich gen Horizont zu ziehen. Als der Bus weiterfährt steht noch ein junger Mann an der Haltestelle und zündet sich eine Zigarette an. Der Mann trägt eine weite, helle Schlaghose, aus dem die hohen, klobigen Stiefel immer nur dann ein Stück herausragen, wenn er einen Schritt vor den nächsten setzt. Unwirsch weht ihm sein langes Haar ins Gesicht und er streicht es energisch mit einer Hand nach hinten. Mit der anderen führt er sich die Zigarette an den Mund und geht eiligen Schrittes über die Straße. Dieser junge Mann, so stelle ich es mir vor, ist David Bowie. 

Vor Jahren sehe ich im Fernsehen eine Dokumentation über ihn. Bowie kommt, einem in schwarz gekleideten Modeschöpfer gleich, aus einem Hotel. In der Hand hält er wieder eine Zigarette und flaniert die Straße entlang, gelassen und völlig unbeirrt. Die Szene spielt vermutlich um 1976. Zumindest sieht er schon so aus wie seine Bühnenfigur, der bleich geschminkte Thin White Duke. Bei aller Abgeklärtheit aber liegt auch etwas Getriebenes in seinen Bewegungen, so als hätte er etwas mit sich etwas auszutragen, einen Gedanken vielleicht oder eine Idee. Wie ich ihn nun in den Straßen dieses eher unscheinbaren Viertels in London an einem Wintertag Anfang 1971 vor meinem inneren Auge sehe, liegt wieder etwas Gehetztes in ihm. Diesmal handelt es sich tatsächlich um eine konkrete Songidee, die ihn vorantreibt und die so greifbar erscheint, dass er sie auf keinen Fall verlieren mag. Eigentlich wollte er in den Vierteln von Bromley nach neuen Klamotten Ausschau halten, dem einen oder anderen Bühnenstück vielleicht. Aber diese eine Melodie dringt immer stärker in sein Bewusstsein. Sie klingt so leicht und eingängig und erinnert ihn entfernt an den Song „My Way“. In der von Paul Anka getexteten Version hat Frank Sinatra diesen jüngst zum Welthit gemacht.

Ausgerechnet „My Way“ denkt sich Bowie, bricht die geplante Shoppingtour ab und nimmt den nächsten Bus zurück nach Southend, wo er ein kleines Studio hat. Auch er, Bowie, hat sich an einem Text dieses Songs der französischen Komponisten Claude Francois und Jacques Revaux versucht. Doch die Version, die er dem Duo mit dem Titel „Even A Fool Learns To Love“ vorstellt, wird kurzerhand abgelehnt. Wie gut hätte der Erfolg dieser Single dabei seiner eigenen Karriere getan, denkt sich Bowie und beschleunigt seine Schritte. Zwar landet er 1969 selbst einen veritablen Hit mit dem Song „Space Oddity“, der opulent instrumentiert die Odyssee des Astronauten Major Tom erzählt und seinerzeit auch für eine Menge Aufsehen sorgt. Ein Nachfolger hingegen ist grad nicht in Sicht. Sein letztes Album „The Man Who Sold The World“ gilt zwar als ambitioniert, wird aber kein durchschlagender Erfolg. Nach ein paar weiteren Metern erreicht David Bowie sein Studio. Die Zigarette drückt er an einer Häuserwand aus, schmeißt den Mantel über einen Stuhl und setzt sich augenblicklich ans Klavier. Binnen weniger Minuten entsteht aus der Melodie ein Arrangement, das für ihn fast wie eine Parodie auf „My Way“ klingt. Auf einem Zettel notiert er die Zeile, „it´s a good-awful small affair, to the girl with the mousy hair”. Alles geht jetzt schnell und noch am selben Abend ist der Song „Life On Mars?“ fertiggestellt. Dieser wird im Laufe der Jahre einer der prägendsten Hits in seiner Karriere, aber davon wird David Bowie an diesem Tag in Southend ganz sicher nichts ahnen und vermutlich auch nicht wenige Monate später, als er weitere Stücke in seinem Londoner Lieblingsviertel Soho als Album aufnimmt.

Dort sehe ich Bowie wieder vor mir, diesmal in der belebten Wardour Street, die er bereits Mitte der sechziger Jahre im Song „London Boys“ besingt, noch unentdeckt von der Öffentlichkeit; „bright lights, soho, wardour street, you hope you make friends with the guys that you meet“. Das Lied wird nie ein Hit, wie keines von ihm bis „Space Oddity“ aber Soho bleibt Bowie über die Jahre treu. Hier kauft er seine ersten Instrumente, arbeitet für ein Label und verdient Geld, das er in den umliegenden Boutiquen und Bars schnell wieder ausgibt. In diesem Viertel starten ein Jahrzehnt später auch ein paar über alle Maßen durchgestylte Typen ihre Karrieren, die sogenannten Blitz Kids. Im legendären Blitz Club, den Visage-Sänger Steve Strange ein paar Jahre betreibt, gehen Mitglieder der Bands Ultravox, Culture Club, Spandau Ballet und Duran Duran ein und aus, Vorreiter der New Romantic-Welle, die meine ersten musikalischen Helden Anfang der achtziger Jahre werden sollen. Allesamt sind sie Fans von David Bowie, bis heute, so wie ich. Gemeinsam mit seinem Kumpel und Gitarristen Mick Ronson läuft Bowie an unzähligen Klamottenläden, Shops, Restaurants und Bars vorbei, in die es auch zu früher Tageszeit schon Touristen zieht, wenn diese nicht bereits in der nahegelegenen Carnaby Street hängenbleiben. Die beiden Musiker steuern auf ein schmales Häuschen zu. Unscheinbar fügt es sich in die Fassaden der Nachbarhäuser ein, hinter deren Eingangstür sie für den Rest des Tages verschwinden. Und dort bleiben sie meist bis spät in die Nacht, in ihrem Zuhause, dem Trident Studio, wo das Album „Hunky Dory“ entsteht. Als Produzent hat Bowie eigens den gleichaltrigen Ken Scott angeheuert, der bereits für Elton John und den Beatles gearbeitet hat. Doch dieser mag an einen Erfolg Bowies zunächst nicht glauben. Erst als ihm der Sänger persönlich gegenübersteht ist Scott augenblicklich in den Bann gezogen. Beflügelt von der Stimmung im Studio und den neuen Songs schreibt David Bowie an weiteren, die er erst zu einem späteren Zeitpunkt aufnehmen möchte. Diese werden es schließlich sein, die sein bisheriges Leben Monate später komplett auf den Kopf stellen werden und ihn in der Rolle des Ziggy Stardust auch für immer aus Soho hinausführen, seinem Viertel rund um die Wardour Street. Auf einem handelsüblichen Stadtplan muss man den Finger nicht einmal bewegen, um von hier die nächstgelegenen Ziele auszumachen; Piccadilly Circus, Oxford Street, Covent Garden, die allesamt im Radius von nur wenigen hundert Metern liegen. Aber es sind geschlagene 830 Kilometer, einmal quer über den Ärmelkanal, um ins norddeutsche Bremen zu gelangen. Im Sommer jenes Jahres, in dem David Bowie all diese bahnbrechenden Songs aufnimmt, komme ich dort zur Welt. 


what´s happening, brother

Der Tag meiner Geburt wird keinen weiteren Einfluss auf den Verlauf der Karriere von David Bowie haben, da bin ich mir fast sicher. Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass auch Bowie keinen Einfluss auf meine ersten Lebensjahre hat. Das ist insofern bedauerlich, da gerade die siebziger Jahre als die so prägenden in seiner Karriere gelten. Als ich ihn dann endlich entdecke, ist das Jahrzehnt für uns beide schon lange gelaufen. Immerhin das verbindet uns. Aber was nimmt man schon mit aus den ersten Lebensjahren? Woran erinnert man sich und was bleibt hängen außer den paar Umrissen und Erinnerungsfetzen, den Skizzen, die erst mit den Jahren größer werden? Ein Leben lang können sie den tatsächlichen Rückblick auf herrlichste Art und Weise verwaschen. Und was man nicht alles geraderückt oder sich einbildet. Denn was hört und sieht man tatsächlich schon, auf Fotos in Familienalben oder von Eltern und Verwandten, wenn die sich überhaupt erinnern mögen oder können? Der Schriftsteller Peter Stamm schreibt in seiner Erzählung „Marcia aus Vermont“ über das tückische Eigenleben von Erinnerungsbildern; „…woran ich mich erinnerte, hatte mit dem, was tatsächlich geschehen war, wohl nicht viel zu tun“.

Die siebziger Jahre habe ich mir im Rückblick erarbeitet, nicht nur die musikalischen, auch die politischen und gesellschaftlichen. Mein Geburtsjahr 1971 ist für mich zunächst nichts weiter als ein völlig unbeflecktes weißes Blatt Papier, das mit Inhalten gefüllt werden will. Und das Jahr hat viele Ereignisse. Der Vietnamkrieg ist noch in Gange und Spanien eine Diktatur. Im August des Jahres wird in München erstmals in Deutschland ein Banküberfall mit Geiselnahme begangen, während in Berlin das Viermächteabkommen die Sicherheit West-Berlins und seiner Zugangswege sicherstellen soll. Auf Ost-Berliner Seite tritt Honecker die Nachfolge Ulbrichts an und der Wanderfalke wird zum Vogel des Jahres gewählt. In der Zeitschrift Stern erscheint ein Artikel zur Kampagne „Wir haben abgetrieben“, Greenpeace wird gegründet und in den Vereinigten Staaten Zigarettenwerbung im Fernsehen verboten. Hierzulande geht unterdessen „Die Sendung mit der Maus“ an den Start und der Autobauer Mercedes Benz erfindet den Airbag. Passenderweise gibt die Deutsche Bundespost zeitgleich eine Briefmarkenserie mit den Regeln im Straßenverkehr heraus. Der US-Informatiker Tomlinson verschickt die erste E-Mail und auch das At-Zeichen wird eingeführt, das damals noch Klammeraffe heißt und für viele auch heute noch. Bundeskanzler der BRD ist Willy Brandt und der wird für die Ost-West-Aussöhnung mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Vorausgegangen ist sein historischer Kniefall in Warschau als Bitte um Vergebung für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Knapp 50 Jahre später stehe ich mit meinr Frau und unserer Tochter, mit Ulli und Ida, an genau dieser Stelle in der polnischen Hauptstadt. Es ist der Abschluss einer Reise, die die letzte vor Ausbruch der Corona-Pandemie sein wird. Eine Stunde vor Abfahrt unseres Zuges in Richtung Berlin werde ich mir, völlig unvorbereitet, der Ausmaße dieser historischen Geste Brandts erst bewusst.

Die Hits des Jahres 1971 sind da eher von seichter Art. Aber bewusst nehme ich auch diese nicht wahr, eher unterbewusst. Ein paar von ihnen laufen bei uns daheim nämlich offensichtlich in Dauerschleife, so eingebrannt sind ihre Melodien in meinem Gedächtnis, „I Am I Said““ von Neil Diamond, einer der zahllosen Klassiker von Albert Hammond oder Glen Campbells „If You Could Read My Mind“. Läuft eines dieser Lieder heute mal im Radio, zum Beispiel weil man sich im Auto in der Sendersuchleiste verdrückt, fühle ich mich augenblicklich in meine Kindheit zurückversetzt und seit kurzem überfällt mich dabei immer eine leise Melancholie. Die meisten Songs der siebziger Jahre entdecke ich aber erst ein Jahrzehnt später als Huldigung meiner Idole an ihre eigenen. In irgendeinem Interview etwa wird John Taylor, Bassist der Duranies, mit unvergleichlicher Eindringlichkeit über ein frühes Album von Roxy Music sprechen oder davon, wie er Lou Reed live in New York gesehen hat. Jim Kerr von den Simple Minds schwärmt von Peter Gabriel so wie Depeche-Frontmann Dave Gahan von The Clash oder Iggy & The Stooges. Und Robert Smith von The Cure spricht sowieso andauernd über David Bowie. Diese Referenzen wecken mein Interesse, auch wenn ich mich den alten Künstlern nur langsam annähere. Aber ich will wissen, woher meine Bands und Musiker ihre Inspiration haben, wo für sie alles seinen Ursprung und Anfang hat. Mit Christian, mit dem mich vom ersten Moment unserer Begegnung nicht nur eine prächtige Freundschaft fürs Leben, sondern auch die unabdingbare Leidenschaft für Musik verbindet, gilt, für so manche unserer nächtelangen Musiksessions; je später die Stunde, umso älter die Songs. Offensichtlich wächst mit voranschreitender Uhrzeit das Bedürfnis, für beide von uns, in der Schatzkammer der Erinnerungen zu kramen. Dies geschieht nicht selten zum Leidwesen der Nachbarn, aber alle sollen hören was wir hören, so eine weitere Regel, und das ist dann eben viel Zeugs von Bowie, den Stones oder T.Rex, von Bryan Ferry aber auch mal ein Song wie „Maggie May“ von Roddie Stewart, der als trinkfester Pate unserer eigenen Feierlaune immer geht. Aber viele Songs haben auch schon 1971 all die Essenzen, die sie zeitlos die Jahrzehnte überdauern und sie dann zwangsläufig zu mir zurückkehren lassen, so wie „Man In Black“ von Johnny Cash, den so viele in meiner Generation erst durch die American Recordings von Rick Rubin entdecken. Auch „Avalanche“ vom Poeten Leonard Cohen oder Kris Kristofferson´s „Epitaph“ werden irgendwo auf der Wegstrecke von mir aufgelesen. Die Songs von T. Rex sind ohnehin geläufig, auch der Pomp von Tom Jones in einem Song wie „You`Re My World“ geht an manchen Tagen gut durch. Und alles zusammen verknüpft sich auf wundersame Weise immer wieder in den Songs von David Bowie, in „Changes“ oder in „Life On Mars?“.


it´s the freakiest show

Ist es ein Video, in dem ich David Bowie, zumindest im Vorbeirauschen, das erste Mal wahrnehme, dem von „Heroes“, in dem er ein wenig ungelenk und mit flehendem Blick im Lichtkegel steht? Oder ist es das Pierrot-Video „Ashes To Ashes“, in dem auch die Protagonisten des Blitz Clubs zu sehen sind, Steve Strange und seine New Romantic-Entourage? Anfang der achtziger Jahre, als ich beginne, die Musikwelt des damaligen Hier und Jetzt für mich zu entdecken, spielt Musik im Fernsehen eine immer größere Rolle. Zwar stecken die Musikvideos, die schon bald auf dem amerikanischen Sender MTV zu sehen sein werden, noch in den Anfängen. Auf einem der wenigen Programme gibt es in schöner Regelmäßigkeit aber immerhin Livekonzerte oder einen musikalischen TV-Auftritt der jeweils angesagtesten Acts zu bewundern und David Bowie ist begehrter Gast in solchen Aufzeichnungen. Vermutlich aber ist es eher ein Song aus dem Radio, das ich zu jener Zeit einfach nicht mehr ausschalten will, und das mich im Laufe eines endlos wirkenden nachmittags, direkt nach Schulschluss, auf David Bowie aufmerksam macht. Mit der Band Queen, die ich da schon entdeckt habe und deren Hymnen „We Will Rock You“ und „We Are The Champions“ auf Dauerrotation in meinem Kinderzimmer laufen, hat Bowie 1980 den Song „Under Pressure“ aufgenommen. Denke ich heute an diese Jahre zurück, meine ich unter anderem genau diesen einen Song mit seiner unterkühlten Wucht durch die Zimmer unseres Hauses schallen zu hören. Aber ganz sicher habe ich damals keine Ahnung, von wem der Song tatsächlich ist.

Denn ganz offiziell soll es erst 1983 so weit sein mit Bowie und mir und das ist wenig originell. Vielen aus meiner Generation aber geht es nicht anders. Als Bowie nach längerer Pause mit dem Album „Let´s Dance“ auf die Bühne zurückkehrt, ist seine wirklich inspirierende und coole Phase längst vorbei, und zwar, so die Experten, direkt seit dem Album „Scary Monsters And Super Creeps“. Diese Platte ist zu der Zeit bereits 3 Jahre alt, im Popbusiness eine Ewigkeit. Robert Smith, der selbsterklärte Bowie-Anhänger, wird in einem Interview einmal sagen, dass er sich gewünscht hätte, Bowie wäre unmittelbar nach der Veröffentlichung dieses legendären, letzten Kultalbums von einem LKW überfahren worden und hätte sich und seiner Anhängerschaft alle nachfolgenden Platten erspart. Wie gut, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist, denn selbst Robert Smith sollte später noch gemeinsam mit Bowie auf der Bühne stehen, an dessen 50. Geburtstag und ein wenig verlegen an der Seite des einst todgewünschten Idols das Lied „Quicksand“ spielen. 1983 aber ist David Bowie tatsächlich erstmal nur einer von vielen Popstars, trägt eine blondiert geföhnte Welle und helle, weite Anzüge und lächelt fortwährend in die Kameras, auch das wie viele andere Popstars zu dieser Zeit. Und doch unterscheidet ihn seine übergroße Vergangenheit schon einmal von den meisten anderen und auch seine Aura, die mich immer an einen Schauspieler erinnert. Mit weltmännischer Leichtigkeit agiert er im Video zum Song „China Girl“, das nun, im Siegeszug des Musikvideos, rund um die Uhr ausgestrahlt wird. Die Liebesszene zum Schluss des Clips ist mir damals hingegen immer ein wenig unangenehm. Was ich da als 12jähriger, ohne Schnitt und Balken, sehe, übersteigt meine Vorstellungen und auch die meiner Freunde und Klassenkameraden. Wir alle mögen diesen Song und er landet auf zahllosen Tapes dieses verwöhnten Popsommers 1983. über das Video aber wird nie jemand von uns ein Wort verlieren. Das guckt jeder für sich allein, ganz ohne Schnitt und Balken.

Im gleichen Sommer wird mir die Magie von Popmusik, diese in herrschaftlichste Melodien gegossene 3-Minuten-Wunder, noch deutlicher bewusst durch einen anderen Song von Bowie. Dieser Moment ereignet sich kurz vor den Sommerferien auf dem großen Fußballplatz in Delmenhorst-Süd. Ich spiele im Verein, eher leidlich als talentiert. Das Training und ein abschließendes Übungsspielchen sind längst absolviert. Für ein paar Laufeinheiten trotten wir aber noch rund um den Platz, vielleicht auch als Strafrunde für wieder einmal mangelnden Einsatz. Auf dem Parkplatz vor dem Gelände schauen wir bewundernd zu den großen Jungs herüber, die mit ein paar Mädchen vor ihren Autos stehen und sich Zigaretten teilen. Ihr Training ist da längst beendet und in voller Lautstärke ertönt aus einem der Fahrzeuge das Lied „Modern Love“. Und während die Sonne tiefrot über den Platz flimmert und mit 12jährigen Knirps ein wenig wilde Romantik vorgaukelt, singt Bowie mit tief-sonorem Timbre die Zeilen „i know when to go out, know when to stay in, get things done“ zu diesem satten, trockenen Gitarrenriff und dem polternden Schlagzeug. Und in dem Moment, in dem Stimme und Instrumente zu einer Einheit zusammenfinden und ineinander zu fließen scheinen, gerät auch der Fußballplatz samt der dahinter angrenzenden Schnellstraße in Bewegung und wirbelt mich meterweit durch die Luft. Auch heute noch, fast 40 Jahre später, bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich genau so abgespielt hat.  Denn auf dem Weg zurück vom Training nach Hause, die großen Ferien in ihrer Unendlichkeit vor mir, da weiß ich schon, dass eine Rückkehr ausgeschlossen ist. Ich taumle mit dem Fahrrad immer weiter, schier endlos der Abendsonne entgegen und vertrödle die Zeit, mit diesem Song im Ohr und bin um einen großen Moment reicher, der auch in fernen Augenblicken, ein paar Jahrzehnte später zum Beispiel, immer abrufbar scheint. Mein Leben lang halte ich künftig nach genau diesen Momenten Ausschau. 

Bowie taumelt durch den Rest der achtziger Jahre. Nach dem erfolgreichen Imagewechsel soll es nicht mehr sein Jahrzehnt sein. Aber ich mag die Singles, die er in unvorhersehbaren Abständen in den Pophimmel wirft. Zumeist sind es Beiträge zu Filmen, die ich nicht einmal sehe, aber das spielt auch keine Rolle. Songs wie „This Is Not America“ mit Jazz-Gitarrist Pat Metheny, das schwermütige “When The Wind Blows” oder “Underground” etablieren Bowie zunehmend als Elder Statesman des Pop. Zumindest nehme ich ihn so wahr. Und auch nur er, mittlerweile vorzugsweise in dunkle Anzüge gekleidet, scheint dieser Rolle gerecht zu werden. Mit dem passend eleganten „Absolute Beginners“ landet Bowie 1986, in dieser für ihn so wankenden Phase, dann auch tatsächlich wieder einen richtigen Hit. Diesmal lasse ich mir auch den Film nicht entgehen, spielt Patsy Kensit doch eine tragende Rolle, so wie auch schon auf unzähligen Postern in meinem Jugendzimmer. Auch Jahre später noch dient mir dieser Song als Soundtrack, zu einer großartigen Reise durch Kroatien. Die Fotos von Patsy Kensit sind da schon lange von meinen Wänden verschwunden, an meiner Seite im Auto sitzt glücklicherweise Ulli und gemeinsam haben wir eine allzu wechselhafte Fahrt von Zagreb in Richtung Adriaküste hinter uns. Mal werden wir von heftigem Regen überrascht oder von unerwartetem Schneefall. Und während sich mitten hinein in diese ungemütliche Szenerie unter uns die Hafenstadt Rijeka in voller Pracht zeigt, reißt der Himmel auf, an Ulli´s Geburtstag, und aus den blechernen Autoboxen ertönen wie aus dem Off die Zeilen „i´ve nothing much to offer, there´s nothing much to take. I´m an absolute beginner“. All der Stress der endlos wirkenden Autofahrt ist vergessen, auch wenn wir nicht umhinkommen, die nächstbeste Werkstatt aufzusuchen, weil wir mit unseren Füßen auch während der Fahrt zunehmend im Nassen sitzen. Aber Bowie hat uns zumindest für diesen Tag mit der nötigen Grandezza versorgt. 

In eine andere Gemütslage versetzt mich der Film „Christiane F.: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ mit Nadja Brunckhorst in der Hauptrolle. Der bereits 1981 von Regisseur Uli Edel gedrehte Film wird mit einigen Jahren Verspätung in meiner Schulklasse während des Unterrichts gezeigt und erschüttert und fasziniert mich gleichermaßen. Der Film ist mit Songs Bowies gespickt, die ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht richtig kenne und die den düsteren Bildern etwas sehr Eindringliches, nicht wirklich greifbares geben. Denn dieser Abstieg in die Drogenwelt scheint mir in meinem eigenen, nahezu unbefleckten Teenagerleben so unfassbar, ja abgründig und könnte nicht weiter weg sein. In den darauffolgenden Wochen sehe ich ständig die Filmfigur Christiane F. vor mir, wie sie sich an eine Häuserwand knieend eine Spritze in ihre Armbeuge jagt. Die Musik Bowies, die dazu durch meinen Kopf spukt, die schweren, düsteren Instrumentals „Warszawa“ oder „Sense Of Doubt“, haben eine ganz andere, sehr viel bedrohlichere Tragweite als das was ich bislang von ihm kenne und öffnen mir die Tür zu seiner musikalisch so legendären Berliner Zeit. Besonders das Album „Lodger“ wird mein inniger Begleiter, bis heute, jenes letzte Album der Berlin-Trilogie, das Bowie 1979 veröffentlichte, als er schon gar nicht mehr in der damals noch geteilten Stadt lebte. Stattdessen war er unentwegt auf Tournee. Von dieser Aufbruchstimmung erzählt die Platte, auch wenn sie für mein damaliges Empfinden fast ein wenig unhörbar klingt. Aber damit hat nicht nur das Album, damit habe auch ich in meiner Rolle als sich definierender Teenager einen Sonderstatus. Mit diesen Songs kann ich mich auch mal von Gleichaltrigen absetzen, dagegen sein, wo es doch sonst in allen Belangen darum geht, gleich ticken zu wollen in so essenziellen Rubriken wie Musik, Mode oder dem allgemeinen Standing. Mit meiner Leidenschaft für David Bowie wirke ich unter Gleichaltrigen jedoch auch zunehmend ein wenig aus der Zeit gefallen. Auch bei meinem besten Schulfreund Jens kann ich mit meinen Bowie-Platten immer weniger punkten und muss ihn zeitweise sogar bekehren, nicht auch noch unserer gemeinsamen Entdeckung Duran Duran den Rücken zu kehren, als er dabei ist, sich zunehmend Gothic und Dark Wave zu widmen. Auf Verständnis stoße ich seinerzeit immerhin noch bei meiner Mutter und vielleicht hätte mir das zu denken geben müssen. Aber ich bin für jeden Mitstreiter dankbar, auch wenn meine Mutter eher an Bowies adrettem Kleidungsstil interessiert ist. Ein paar Tage zuvor haben wir im Fernsehen das Video zum Song „Tonight“ gesehen, in dem Bowie im strahlend weißen Kellnerjäckchen über eine Showtreppe die Bühne entert und seine Duettpartnerin Tina Turner merklich überrascht. So einen Auftritt konnte man auch nur in den achtziger Jahren durchgehen lassen.

In den darauffolgenden Jahren verliere ich David Bowie dann ein wenig aus den Augen. Er veröffentlicht auch kaum mehr Platten und wenn, dann treffen sie immer weniger meinen Geschmack, so wie die ein wenig schwerfällig und bemüht zeitgemäßen Alben ab 1995. Erst zum Ende des Jahrzehnts finden wir wieder zusammen und es muss schon ein Album wie „Hours“ sein, dieses ruhige, fast in sich gekehrte Werk, das all die Komponenten Bowies greifbar und mich wieder zum Verbündeten macht. So will ich Bowie hören, zu einer Zeit, in der ich auch neue Gleichgesinnte finde und mich mit ihnen endlich ans Frühwerk wage. „Oh man, look at those cavemen go. It´s the freakiest show”. Doch auch eine ganze neue Musikergeneration entdeckt die frühen Alben Bowies für sich. Am eindringlichsten gelingt dies der britischen Band Suede, deren Frontmann Brett Anderson den Geist von Bowies alter Bühnenfigur Ziggy Stardust gleich mehrfach heraufbeschwört. Auch Nirvana landen mit ihrer Unplugged-Version von „The Man Who Sold The World” einen gänzlich unerwarteten Hit und verhelfen Bowie selbst zu neuem Ruhm. Dieser hält sein Niveau auch auf den folgenden Platten, längst beim Alterswerk angekommen und spielt wieder vermehrt live.

Es hat unzählige Möglichkeiten für mich gegeben, David Bowie auf einer seiner Konzertreisen zu sehen, von der „Serious Moonlight“-Tour 1983 über die „Glass Spider“-Shows bis hin zu weiteren Konzerten und Tourneen ab Ende der neunziger Jahre, die auch alle in meiner näheren Umgebung stattfinden. Aber es soll für mich nur dieses Konzert geben, diese eine Gelegenheit, 2003 in der ein Jahr zuvor von The Cure eingeweihten Arena in Hamburg, zu der ich bei strammen Herbstwind radle. Es kann keine weniger glamouröse Art geben, zu einem Bowie-Konzert zu gelangen, aber mir ist schon im Vorwege klar, dass ich all meine Erwartungen an diesen einen Abend noch vor Eintritt in den Innenraum über Bord werfen muss. Selbstredend wird es ein großartiges Konzert, Bowie ist in Form auf dieser Tour, so macht es zumindest den Anschein und hat eine großartige Setlist zusammengestellt. Aber es ist eben auch nur ein Konzert, für Bowie vielleicht nur eines von vielen. Will man auch nur nach einem Augenblick greifen, mitten im Akt, als er die Bühne betritt zum Beispiel und dann einfach da steht, vor mir, als einer von vielen Zuschauern, dann ist genau dieser Augenblick längst wieder vorbei. Einen Abend wie diesen muss man nehmen wie er ist, und darauf muss man im Leben auch erstmal kommen. Und es ist ja keineswegs schlecht gelaufen für mich und meine Bowiegeschichte. So viele Momente habe ich mir zu seiner Musik erschaffen, seit dem Zwischenfall in meiner Jugend, 1983 auf dem Fußballplatz. Das hält für mehrere Leben, mindestens. Und zumindest in diesem einen bin ich dankbar dafür, dass ich es noch auf ein Konzert von ihm geschafft habe. Kurze Zeit später schon steht David Bowie zum letzten Mal auf der Bühne und kehrt auch nicht wieder zurück. 


clad in black, don´t look back

Ein früherer Arbeitskollege von mir, Christoph, meint, dass man keine Musik aus den Jahren vor seiner Geburt hören dürfe. So weit, so gut. Wir arbeiten um das Jahr 2010 für die Beatlemania-Ausstellung in Hamburg und teilen uns eine Weile ein Büro mit Blick auf die Elbe. Am Abend wollen wir gemeinsam auf das Dockville-Festival im Stadtteil Wilhelmsburg gehen und Christoph telefoniert gerade mit einer Kollegin, um uns auf die Gästeliste setzen zu lassen. Gemächlich tuckern die Schiffe an unserem Fenster vorüber und ich denke über seine Worte nach. Christoph ist Jahrgang 1984 und wenn seine aberwitzige These aufgeht, dann kann er all die großartigen Punk- und Waveplatten, die ich so vergöttere, niemals hören. Darauf angesprochen meint Christoph, dass das ja soundtechnisch sowieso alles kaum mehr hörbar ist und außerdem hat sein Vater diese Platten ja schon gehört. Ich muss schlucken. So ist das wohl. Für ihn ist all das irrelevant, was ich mir jahrelang durch meine Gehörgänge heiliggesprochen habe. Aber denke ich nicht genauso? Auch ich mache mir seit Jahren vor, dass meine musikalische Zeitrechnung mit dem Jahr 1971 beginnt. Alles was davor liegt, hat mich nicht wirklich zu interessieren, die Swinging Sixties schon mal gar nicht. Das sind zuallererst Oldies und wie alt bin ich denn, dass ich mich auch noch um die sechziger Jahre zu kümmern habe? Ist es nicht wohlwollend genug, dass ich diesen kleinen, persönlichen Rückblick mit dem Beginn der siebziger Jahre eröffne? Ich hätte diese Geschichte doch auch direkt mit der Band Joy Division beginnen können und alles wäre von Anfang an cool gewesen. Aber vermutlich fängt genau da der Beschiss schon an. So einfach kann man es sich nicht machen. Als ich eine Dokumentation über die Anfänge des Punk sehe, sagt Iggy Pop, dass es das Gitarrenriff von „You Really Got Me“ der Kinks gewesen sei, dass für ihn seinerzeit Initialzündung war und als Jugendlichen umhaute. Der Song stammt aus dem Jahr 1964, tiefer in den Sixties kann man nicht stecken. Noch früher, 1957, erscheint „Slow Down“ des Amerikaners Larry Williams, ein erstklassiger Rock´n Roll-Song, den auch die Beatles covern, später The Jam und Die Toten Hosen und der ebenfalls als einer der Ursongs des Punk gilt, lange bevor es diesen Begriff überhaupt gibt.

Und natürlich ist auch David Bowie beeinflusst von der Musik der sechziger Jahre. „Hunky Dory“-Produzent Ken Scott sagt, dass Bowie zu Lebzeiten die Beatles vor allem dafür bewundert, das Medium Album zu einer Kunstform gemacht zu haben. So will auch Bowie seine Musik stets verstanden wissen, als Gesamtkunstwerk und nicht als Ansammlung einzelner Songs. Da sind sie also wieder, die Beatles. Dabei haben mich gerade die nie wirklich interessiert, schon allein deswegen nicht, weil es fast als Pflicht gilt, von denen eine Lieblingsplatte zu haben. Sonst ist man kein richtiger Musikfan, heißt es. Mit dem Spruch aber ist bei mir schon alles gelaufen. So viel Eigensinn muss doch gerade im Rock´n Roll erlaubt sein, auch mal die Heiligen vom Sockel zu stoßen, mache ich mir immer vor. Ich weiß welche Revolution die Beatles und Stones, The Who, The Doors und all die anderen britischen und amerikanischen Bands in den frühen sechziger Jahren lostreten. Diese Revolution aber ist nicht meine. Die von Christoph schon gar nicht. Umso verrückter, dass wir beide uns als Mitarbeiter einer Beatlemania-Ausstellung kennenlernen. Doch weder er noch ich heuern bei dem Veranstalter an, um den in die Jahre gekommenen Protagonisten nahe sein zu wollen, die ihre Kartons mit Beatles-Devotionalien auspacken, obwohl das allesamt nette Menschen sind. Wir haben es auf die Bands abgesehen, die der gleiche Veranstalter für das Hurricane-Festival anheuert: Sonic Youth, die Editors, Björk oder Faith No More. Das Universum stellt sich eben von alleine auf, die eigene Geschichte sowieso. Und meine beginnt nun mal 1971. Ich habe mich, vorerst, damit arrangiert.   

Aber alles scheint auch größer, wuchtiger und gewaltiger in den siebziger Jahren gegenüber den Sixties; die Songs und Alben, die Posen, Gesten, auch die Frisuren. Der Wechsel des Jahrzehnts scheint wie ein Sprung zu einem neuen Ufer, das für einige nicht das rettende sein wird. Jimi Hendrix, Jim Morrison und Janis Joplin sterben früh und auch die Beatles veröffentlichen in den siebziger Jahren nur noch ein Album, ihr letztes, „Let It Be“. Auf Tour gehen sie schon Jahre zuvor nicht mehr, weil die Produktionsbedingungen es noch nicht zulassen, das Gekreische des Publikums mit den Instrumenten zu übertönen. Das ändert sich im Laufe der siebziger Jahre grundlegend. Viele Bands starten Endlostourneen oder Materialschlachten, die Rockkonzerte wie moderne Opernaufführungen aussehen lassen. Irgendwann ruft das die Punks auf den Plan, die alles wieder umstürzen. Herrliche Zeiten.


I´ll get on back home

Der 8. September 2005, der Geburtstag meiner Mutter. Wie oft spiele ich ihr im Laufe der Jahre Songs vor, die sie unbedingt hören müsse, am besten immer jetzt, sofort und dann in voller Lautstärke. Und wie geduldig sie all die Jahre das über sich ergehen lässt. Dabei ist meine Mutter David Bowie gegenüber immer wohlgesonnen, vielleicht weil sie weiß, was er mir bedeutet und auch, wie er ausschaut. Vielleicht liegt es auch an den Songs, die ich sorgsam für unsere Hörveranstaltungen auswähle. Man muss auf sein Publikum eingehen können, sonst hört es schon beim nächsten Mal nicht mehr zu, weiß ich früh. Meine Mutter, Bowie und ich. Was kann man da für Dinge hineininterpretieren, die ganz sicher nicht da sind. Aber an diesem Tag kann aus kosmischer Sicht etwas gehen. Während wir auf ihren 66. Geburtstag anstoßen, wird David Bowie am Abend im weit entfernten New York in der Radio City Music Hall auf der Bühne stehen. Hier ist er schon in den siebziger Jahren als Ziggy Stardust aufgetreten, erstmals überhaupt in den USA und damals gleich mehrfach hintereinander. Und auch heute wird dies ein denkwürdiger Moment, denn dieser Auftritt im Rahmen des Conde Nast Fashion Rocks wird der erste sein, den Bowie nach seinem Herzinfarkt 1 Jahr zuvor spielen wird. Noch einmal sehe ich ihn vor meinem inneren Auge. Am Treppenaufgang zur Bühne, die ganz in blau ausgeleuchtet ist, steht Bowie und wartet, dass sein Pianist Mike Garson die ersten Takte von „Life On Mars?“ anstimmt. Langsam, bedächtigen Schrittes schreitet Bowie die Treppenstufen hoch, geht zur Bühnenmitte und startet den Song mit jenen Zeilen, die er vor über 30 Jahren als junger Mann in London Southend schrieb: „it´s a good-awful small affair, to the girl with the mousy hair.“ But her mommy is yelling no and her daddy has told her to go”. Es ist das letzte Mal, dass David Bowie diesen Song live spielen wird. Zwar tritt er ein Jahr später nochmal für einige Songs als Teil einer Charity-Veranstaltung auf, ein ganzes Konzert aber oder gar eine Tournee wird es von ihm nicht mehr geben, obwohl die Musikwelt sehnsüchtig auf dieses Livecomeback wartet. Als Jahre später völlig unerwartet doch noch neue Musik von ihm erscheint, hat sich Bowie längst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. 2 Tage nur nach Veröffentlichung des wie ein Abschied anmutenden letzten Albums „Blackstar“, stirbt David Bowie am 10. Januar 2016 in New York.  

Blackstar“ in einer aufwändig gestalteten Deluxe-Edition liegt noch verpackt auf meiner Musikanlage und wird dort auch noch eine ganze Weile liegenbleiben, als ich vom Tode David Bowies erfahre. Ich bin an diesem Tag bereits früh von der Arbeit zuhause und lese die Nachricht in den News-Schlagzeilen auf meinem Handy. Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet Bowie, der für mich der musikalische wie visuelle Anfang von allem ist, nicht mehr da sein soll. Andererseits stelle ich mir die Frage, und das nicht erst in diesem Moment, ob er überhaupt jemals da war. Anders als Musiker wie Bruce Springsteen oder Neil Young, die sich nach Außen entweder bodenständig oder zumindest halbwegs real darstellen, was natürlich auch nur eine blödsinnige Halbwahrheit sein mag, war David Bowie immer schon das Wesen aus einer anderen Galaxie und nie wirklich nah. Er war der Mann, der vom Himmel fiel und spielte live mit den Spiders from Mars. Bowie war Ziggy Stardust und als dieser nach seinem Bühnentod zu Staub zerfiel, kam er als geisterhafter Thin White Duke auf die Bühnen zurück. Es ändert sich also gar nicht viel. Und trotzdem fühlt sich sein Tod auch deswegen so merkwürdig an, weil ihm dadurch doch noch etwas irdisches widerfahren ist. Vielleicht hat diesen Umstand keiner so treffend auf den Punkt gebracht wie einst Falco. Dieser verrückte Österreicher, für den ich immer schon etwas übrighatte und dessen Song „Junge Römer“ die wohl unverschämteste und zugleich beste Adaption von Bowie´s „Let´s Dance“ ist. Seine bewegende Textzeile „muss ich denn sterben, um zu leben?“, hallt nach seinem eigenen Tod durch die Radios und wird ein posthumer Hit. Aber ich weiß, sobald an diesem Tag der erste Bowie-Song aus dem Radio ertönt, schalte ich ab.

Ich öffne die Tür zur Terrasse. Wie immer kommt meine Tochter Ida nach der Schule durch den Garten. Wir setzen uns an den Küchentisch, essen eine Kleinigkeit und es tut gut, an etwas ganz anderes zu denken. Obwohl mir gar nicht danach ist, erzähle ich ihr, dass heute einer der größten Popstars gestorben ist. Mit ihren 9 Jahren hat Ida keinen Bezug zu David Bowie, so wenig wie ich das in ihrem Alter hatte. Vielleicht habe ich ihr mal ein Lied vorgespielt, auf die Playlists aber, die ich seit einiger Zeit für sie auf CD spiele und auf deren Rückseite in spleenigem Stolz Papa Records steht, hat es bislang kein Bowie-Song geschafft. Aber als ich ein bisschen über ihn erzähle, meine ich zu spüren, dass sie mein Interesse nachempfinden kann. Ich frage Ida, ob sie sich noch an unseren Ausflug nach Berlin erinnert. Vor einiger Zeit haben wir dort die Ausstellung „Bowie is…“ gesehen. Vielleicht zählt dieser nicht zu ihren beliebtesten Museumsbesuchen und das wäre auch zu viel verlangt. Aber diese Momente in der großzügig kuratierten Ausstellung, noch zu Lebzeiten Bowies, wollte ich unbedingt mit ihr teilen. Direkt am Eingang ging es auch vielversprechend los. Zur Musik von „Space Oddity“ thronte mächtig jener astronautengleiche Anzug, den er seinerzeit auch tatsächlich trug. Später jedoch, auf überdimensionalen Konzerteinblendungen, in denen Bowie, von Drogen gezeichnet und mitunter bedrohlich abgemagert, in seinen unterschiedlichsten Bühnenrollen zu sehen ist, möchte ich ihre Gedanken nur zu gerne erraten haben. Ob wir nochmal nach Berlin fahren wollen, frage ich sie. Ich schlage vor, dass wir diesmal über Nacht bleiben könnten, auch auf einen Besuch ins Technikmuseum, wo wir unbedingt mal hinwollten. Und insgeheim plane ich schon einen Abstecher zur alten Wohnung Bowies in die Schönhauser Alle. Dort lebt er ab 1976 einige Jahre mit seinem Kumpel Iggy Pop und nimmt seine vielleicht besten Platten auf. Genau diese Bilder von seiner alten Berliner Adresse sind es, die etwas Versöhnliches ausstrahlen, als am Abend seines Todestages hunderte Fans dorthin pilgern, um Blumen abzulegen. 

PLAY

DAVID BOWIE/ life on mars?   T.REX / get it on   GLEN CAMPBELL / if you could read my mind   JOHNNY CASH / man in black   ROD STEWART / maggie may   KRIS KRISTOFFERSON / epitaph (black and blue)   SHIRLEY BASSEY / diamonds are forever   MARVIN GAYE / what´s happening brother   LEONARD COHEN / avalanche   TOM JONES / you´re my world 
Rauschen´Story Of My Life`01

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