INXS: eine andere Geschichte___
| INXS: standing here on the ground |
Zwei Jahre später trägt mich wieder einer ihrer Songs weit weg. Im Video zu Kiss The Dirt stehen sie inmitten einer endlosen Wüstenlandschaft, die Sonne brennend am Firmament. Ihre Stiefel wirbeln den rötlichen flackernden Sand auf und von irgendwoher kommt ein Zug angefahren, während die Band mit ihren Instrumenten vor einem bedenklich auflodernden Feuer posiert. Wieder ist die Energie zum Greifen nah und mit ihr einmal mehr auch dieses wild-romantische Fernweh, der Wunsch, sofort aufbrechen zu können, ganz egal wohin. Ich kaufe mir das dazugehörige Album Listen Like Thieves und auch noch The Swing, den Vorgänger, auf dem Original Sin enthalten ist. Die Songs beider Platten, in all ihrer Unterschiedlichkeit, hallen lange durch mein Jugendzimmer, hinüber zu den Nachbarn und bei geöffnetem Fenster weit hinaus in die nähere Umgebung. Noch sind Inxs zu dem Zeitpunkt leidlich bekannt in Deutschland aber für mich sind sie die Band der Stunde. Viel später sehe ich einen Liveauftritt genau jener Jahre, den sie im Rahmen des Rocking The Royals-Events 1985 in Melbourne spielen und für mich ist genau das DER Auftritt einer Rockband der achtziger Jahre schlechthin. Es ist die pure entfesselte Schönheit.
In den neunziger Jahren gerät die Musik von Inxs etwas in den Hintergrund. Als die Band 1991 in Wembley spielt, auf dem kommerziellen Höhepunkt ihres Erfolgs, ist Hutchence für die Medien vor allem der Superstar, der sich mit wechselnden Partnerinnen an seiner Seite sehen lässt. Musikalisch sind nach dem eher lauen Album X nun andere Bands am Drücker. Die Alternative- und Grungebewegung lässt die Australier wie edel polierte Stars von gestern erscheinen und auch ich habe längst neue Favoriten. Mein Faible für tolle Frontleute bleibt zwar, aber sie alle schauen nun weitaus grimmiger drein. Glamour ist längst zum Unwort verkommen. Dabei bleiben mir Inxs auch weiterhin wichtig und das nun bestimmte Attribute nicht mehr gelten sollen, empfinde ich als kleinlich. Vielleicht aber bin ich auch schon nicht mehr im richtigen Alter, mit zwanzig Jahren, um das beurteilen zu wollen. Denn im Vergleich zu Kurt Cobain, ist Michael Hutchence für mich, nicht nur im Rückblick, der weitaus wichtigere Rockstar.
Ein gemeinsames Abenteuer steht uns auch noch bevor und diesmal nehme ich die Band mit auf Reise. Auf einer mehrwöchigen Tour durch Griechenland ist das 1992 veröffentlichte Welcome To Wherever You Are ist mein persönlicher Soundtrack. Die Band klingt nach X nun wieder deutlich ungestümer und Hutchence fragt „how can you stop when you don´t know how to start”. Währenddessen lasse ich die Landschaft an mir vorbeifliegen, all die hübschen dunkelhaarigen Mädchen und welche Musik, ja welche Band könnte in solchen Momenten besser passen? In diesen Wochen denke ich oft, dass die Zeit einfach stehenbleiben könnte. Alles scheint so unfassbar weit weg und habe mich seit Wochen nicht zuhause gemeldet. Die Songs von Welcome scheinen wie gemacht für ein Abenteuer, das in jeder Note nach Weite und Freiheit schmeckt. Und genau dort, auf einer der Inseln der südlichen Ägäis, lasse ich die Band auch zurück. Diese Intensität, schwant mir, lässt sich in diesem Ausmaße unmöglich an einen anderen Ort transportieren. Was mit den Songs von The Swing einst in meinem Kinderzimmer begann, soll mit Welcome nun hier, fern der Heimat, enden. Diese beiden Platten sind bis heute auch meine liebsten der Band.
Viele Jahre später, im Herbst 1997, bin ich mit meiner Freundin im Auto auf dem Weg nach Hause und höre Radio. Vor einigen Monaten haben Inxs eine neue Platte veröffentlicht. Elegantly Wasted heißt sie und ich finde, dass kein Titel besser auf diese Band passen könnte als genau dieser. Und doch bin ich nur verhalten neugierig. In Interviews wirkt Michael Hutchence seltsam zurückhaltend. Er trägt die Haare noch lang aber geglättet und mir fällt auf, dass ich ständig versuche, den alten Glamour an ihm wiederzuentdecken. Bei ihrem Auftritt auf der Loreley im Sommer des Jahres dagegen wirken sie so energetisch wie gewohnt, auch wenn sie mittlerweile ein wenig verlebter aussehen. Aber wenn nicht Inxs, wer soll dann schon noch Rock´n Roll sein, in diesen Tagen. U2 hadern noch immer mit den moralischen Grenzen als Rockstars und Kurt Cobain ist längst gestorben.
Wir biegen mit dem Auto in unser Viertel, als ich das Radio reflexartig lauter drehe. Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Es heißt, dass Michael Hutchence in einem Hotelzimmer in Sydney tot aufgefunden wurde, gerade einmal 37 Jahre alt. Niemals denke ich, nicht Hutchence, der für mich das pralle Leben des Rock´n Roll verkörpert, wie kaum ein zweiter Musiker. Nein, nicht er, der vielleicht beste Frontmann, den es gibt, wie ich bereits meinen jüngeren Freunden stets vorhalte, wenn sie mir wieder mit einem ihrer hippiesken Slackervorbildern kommen wollen. Noch schlimmer sind in den folgenden Tagen die näheren Hintergründe zu seinem Tod. Es scheint, dass mit einem Schlag das ganze Bild dieses so großartigen Sängers und Performers in sich zusammenfällt. Für mich haben Inxs und speziell ihr Frontmann immer so viel positive Energie versprüht, dass mich die Meldungen über Drogen und sonstige Eskapaden fast ein wenig überfahren. In einer heute kaum mehr vorstellbaren Welt ohne soziale Medien, blieben einem solche Hintergründe dankenswerter Weise oft verborgen. Nur das Mysterium, das ein Künstler von sich selbst zeichnete zählte, und das, was man gewillt war anzunehmen oder eben nicht. Ich merke, dass ich an dem ganzen Bild Hutchences, also an der vermeintlichen Wahrheit, gar nicht wirklich interessiert bin und dafür bin ich auch dankbar. Ich will an der Illusion festhalten, die er mir so lange als Rockstar verkauft hat. Diese ist unbezahlbar.
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